Tibet Overland - Von Lhasa nach Kathmandu – über die neue Grenze von Tibet nach Nepal
«Nicht zum ersten Mal sitze ich in der Tibet-Bahn von Xining nach Lhasa. Auf die Minute pünktlich verlassen wir den modernen Bahnhof Xining und fahren zwanzig Stunden später zur vorhergesagten Zeit in Lhasa ein – eine Stunde schneller als noch vor acht Jahren. Der erste Eindruck von Lhasa ist überwältigend: Tausende von tibetischen Pilgerinnen und Pilgern sind nach Lhasa gekommen, um das Saga-Dawa-Fest zu feiern. Auf dem Barkor oder Lingkor, dem rituellen Pilgerweg, trifft man sie in Scharen. Mit Gebetsmühlen in den Händen umrunden sie den Jokhang Tempel. Mit ihren traditionellen Niederwerfungen versuchen sie, ihr Ego «auszuwaschen». Nicht nur jetzt während des Festivals ist Lhasa ein Kraftort. Gerne würde ich hier längere Zeit verweilen.
Mit Sonam unterwegs
Besonders spannend ist Lhasa natürlich, wenn man wie wir von einem Einheimischen begleitet wird. Unser Guide Sonam spricht sogar Deutsch, er kennt viele Geschichten aus der Stadt und spielt, wenn er nicht gerade mit Touristen unterwegs ist, in einer Rockband. Gemeinsam mit ihm besuchen wir die wichtigsten Sehenswürdigkeiten der Stadt wie zum Beispiel den Potala-Palast. Dieses einmalige Gebäude zieht heute sehr viele Touristen aus ganz China an. Wir freuen uns daher, dass Sonam auch unbekanntere Tempel, die bis heute fast ausschliesslich von tibetischen Pilgern besucht werden, kennt. Diese Orte werden schnell zu meinen Lieblingsplätzen. Wer nach so viel inspirierendem Sightseeing eine Pause braucht, ist in Lhasa gut aufgehoben. Es gibt zahlreiche gute Restaurants und Cafés.
Alleine auf 4000 m ü.M.
Mit Wehmut verlassen wir das quirlige Lhasa. Auf einer neuen Schnellstrasse – eine vierspurige Autobahn mit wenig Verkehr – fahren wir entlang des Tsangpo-Flusses nach Samye. Über den beeindruckenden Sanddünen wird hier eine neue Eisenbahnlinie und eine weitere Autobahn gebaut. Wenige Stunden später wandern wir hoch über den neuen Bauwerken in die Pilgerhöhlen von Chimpu. Aus der Vogelperspektive sieht die Landschaft noch grandioser aus. Am YamdrokTso-See führt uns Sonam zu einem idyllischen Strand auf 4400 m ü. M. Wir sind ganz alleine. Hier werde ich nächstes Mal im Zelt übernachten. Das nehme ich mir beim Blick über das tiefdunkle Wasser fest vor.
Vorbei am Mt. Everest
Weiter geht’s zum Kumbum von Gyantse und zum Tashi Lunpo von Shigatse. Auch hier treffen wir auf tibetische Pilgerinnen und Pilger. Obwohl wir uns auf über 4000 mü.M. befinden, herrscht Ende Mai «T-ShirtWetter». Zusammen mit den Pilgergruppen umrunden wir die Klosteranlagen. Danach begleiten wir sie in die unzähligen wunderschönen Klosterhallen. Auf dem Highway G301 in Richtung Nepal: Die Landschaft wird immer spektakulärer. Wir entdecken abgelegene Nonnenklöster, besuchen spontan eine Bauernfamilie und unternehmen einen Abstecher zum Everest Base Camp auf 5000 m ü. M. Die Unterkünfte dort sind nach wie vor «very basic», was dazu führt, dass die Nacht nicht sonderlich erholsam ist. Die Höhe tut ihr Übriges dazu. Zum Glück entschädigt der Blick frühmorgens auf die Nordwand des Mt. Everest für alles.
Über die neue Grenze
Nach einem heissen Tee bringt uns die Strasse auf der Tingri-Hochebene an den höchsten Bergen der Welt vorbei: Wir bewundern den riesigen Bergsee Pigu-Tso und den Shishipagma (8027 m). Von dort führt eine langgezogene Schlucht auf einem Pass (5000 m) in nur drei Stunden durch einen Canyon hinunter nach Kyerong (2400 m), einem Grenzort zwischen China und Nepal. Die Grenze in Zhangmu war im April 2015 für mehr als zwei Jahre geschlossen worden. Die neue Grenze in Kyerong wurde erst im Oktober 2017 eröffnet.
Namaste Nepal
Santosh, unser nepalesischer Guide, erwartet uns gleich nach dem imposanten chinesischen Grenzgebäude und einer Brücke in der nepalesischen Grenzbaracke. Ein gutes Allradfahrzeug ist für die schlechten Strassen auf der nepalesischen Seite unabdinglich – was für ein Kontrast zu China! Wir genehmigen uns ein Dhal-Bhat (Nepali-Curry) und den ersten nepalesischen Chai in einem der kleinen Dörfer unterwegs. Durch das Langtang-Gebiet geht die holprige Fahrt in einem Tag bis nach Kathmandu. Im Kathmandu-Tal besuche ich vertraute Orte, die ich von meinen langjährigen Aufenthalten in Nepal gut kenne: Bodnath, Swayambhunath, Bhaktapur, Patan. Ich lasse die Reise ausklingen und besuche alte Bekannte und gebe ein Sitarkonzert mit meinem Freund, dem Tablaspieler Achyut Ram Bhandari. Ich komme wieder! So viel steht fest.
(alle Fotos von Hans Wettstein, Insight Reisen)